(Autor: Helge Fauskanger - Übs: Brigitte Raßbach)
Blau geschriebene Abschnitte sind abgeändert, um sie an die deutsche Grammatik anzupassen!
Die verschiedenen Satzteile wie
Hauptwörter, Verben und Adjektive bleiben die meiste Zeit in relativ
eigenständigen Kategorien. Einige Wörter jedoch vereinigen die Eigenschaften
verschiedener Satzteile. Die Partizipien sind Wörter mit der
Grundfunktion von Adjektiven, aber sie sind direkt von Verben abgeleitet und im
Fall der aktiven Partizipien sind sich noch fähig, ein Objekt zu erhalten.
Die Partizipien sind in zwei Kategorien unterteilt, oft Partizip Präsens und
Partizip Perfekt genannt. Diese Ausdrücke sind etwas irreführend, denn
der Hauptunterschied zwischen ihnen hat nichts mit den Zeiten zu tun. Die
alternativen Ausdrücke aktives Partizip und passives Partizip
sind besser, und ich werde versuchen, sie hier durchgängig zu benutzen.
Wir werden uns das "Partizip Perfekt" oder passive Partizip für die
nächste Lektion aufheben und konzentrieren uns hier auf das "Partizip
Präsens" oder das aktive Partizip. Im Englischen leitet man die
Form mit Hilfe der Endung -ing her, im Deutschen
mit der Endung -end oder bei Lehnwörtern -ant. Das Verb
"folgen" hat zum Beispiel das aktive Partizip "folgend".
Dieses Verbaladjektiv beschreibt den Zustand von etwas oder jemandem, der die
Aktion des dazugehörigen Verbs ausführt. Der Tag, der folgt kann
beschrieben werden als der folgende Tag.
Wenn das Verb fähig ist, ein Objekt zu erhalten, so auch sein
korrespondierendes Partizip. Eine Person, die Elben liebt, kann
beschrieben werden als eine Elben liebende Person.
Im Englischen ist die durch Anhängen von -ing von Verben abgeleitete
Form in gewisser Weise zweideutig. Sie kann auch als Hauptwort fungieren. Das
aktive Partizip eines Verbs wie "kill2 ("töten") ist natürlich killing (tötend),
wie es eindeutig adjektivisch ist in einer Wendung wie "a killing
experience", "eine tötende (besser im Deutschen: tödliche)
Erfahrung", aber in einem Satz wie "the killing must stop",
"das Töten muss aufhören", wird es eindeutig als Hauptwort benutzt.
Im letzten Satz ist "killing" ein substantiviertes Verb, ein
abstraktes Hauptwort, das die Aktion des Tötens bezeichnet. Hier sind wir nur
interessiert an adjektivischen
Verben = Partizipien. In Quenya stimmen die beiden in der Form nicht
überein. Im Deutschen wird ein Verb, wenn es
substantiviert wird, ebenfalls anders gebildet, die Zweideutigkeit existiert in
unserer Sprache somit ebenso wenig wie in Quenya (töten --> "das
Töten", nicht "das Tötend".
Die Quenya-Endung, die dem -end entspricht, ist -la. Im
Markirya-Gedicht gibt es viele Beispiele von aktiven Partizipien. In seiner
Anmerkung weist Tolkien darauf hin, "ilkala [is the]
participle of ilka 'gleam (white)'", dass ilkala das
Partizip sei von ilka "(weiß) schimmern, leuchten" (MC:223).
Das Partizip ilcala (wie wir es hier schreiben würden) bedeutet somit
"leuchtend, schimmernd", und so wird es im Gedicht verwendet, in einer
Wendung, die übersetzt ist mit "in the moon gleaming", "im
leuchtenden Mond" (MC:215).
Es scheint, dass bei einem aktiven Partizip in Quenya der Stammvokal verlängert
wird, wenn das möglich ist.In ilcala kann das i nicht zu langem í
werden, weil eine Konsonantenhäufung folgt. In MC:223 erwähnt Tolkien aber
auch ein Verb hlalpu- "im Wind fliegen oder fließen" (einer
der seltenen U-Stämme, eine ziemlich im Dunkeln liegende Kategorie von
Verben). Sein Partizip taucht auf als hlápula, auf der vorangehenden
Seite: Winga hlápula, übersetzt mit "foam blowing",
"fliegender Schaum" (vgl. MC:214). Wir müssen also annehmen, dass das
Partizip eines Verbs wie lala- "lachen" lálala (!)
"lachend" ist: Der Stammvokal wird verlängert. Wenn der Stamm des
Verbs einen Vokal beinhaltet, der bereits lang ist, bleibt er im Partizip
einfach lang: Die Partizipien von píca "abnehmen, (sich)
verringern" und rúma- "heben, (sich) bewegen" erscheinen
im Markirya-Gedicht als pícala und rúmala.
Im Fall längerer Verbstämme, wo der Stammvokal zweimal auftaucht, wie in falasta-
"schäumen" (Wurzel augenscheinlich PHALAS), scheint es, dass
der auftauchende zweite Stammvokal zu verlängern ist, wenn möglich. In
diesem Fall kann er nicht verlängert werden, weil eine Konsonantenhäufung
folgt; das Partizip "schäumend" ist (im Markiruya) belegt mit falastala.
Der erste erscheinende Stammvokal könnte verlängert werden, soweit es
um die Phonologie geht (**fálastala), aber der erste Vokal
"zählt" offensichtlich nicht im Hinblick auf die Verlängerung.
(Wahrscheinlich wird er auch nicht in der Gegenwart verlängert: falastëa
"schäumt (gerade, Verlaufsform)", kaum ?fálastëa, noch viel
weniger **falástëa. Aber jene, die nicht an die Theorie glauben, dass
A-Stämme ihre Gegenwartsform (Verlaufsform) auf -ëa bilden, könnten
einfach falasta schreiben, in der Form dem Aorist ähnlich.)
Die Primärverben sind ein Problem. Ein Anfügen der Endung -la an ihre
Stämme würde für gewöhnlich zu Konsonantenhäufungen führen, die in Quenya
nicht erlaubt sind. Das Partizip des Verbs tir- "wachen, bewachen,
beobachten" kann zum Beispiel nicht **tirla sein (oder **tírla),
ein ziemlich unmögliches Wort für Quenya. Es wurde angenommen, dass man in
solchen Fällen mit der Bildung des "Verlaufsform-Stammes" (ähnlich
der Verlaufsform der Gegenwart) beginnt, mit Verlängerung des Stammvokals und
Anfügen von -a, z. B. tíra "is watching",
"beobachtet (gerade)", und dann das Partizip durch Anfügen der
Partizipendung -la zu dieser Form entwickelt: tírala
"beobachtend". Markirya enthält hácala als ein
Partizip "gähnend"; unglücklicherweise ist das zugrunde liegende
Verb "gähnen" nicht belegt, aber wenn es ein Primärverb hac-
ist, würde die attestierte Form des Partizips eine solche Theorie bestätigen.
Aber natürlich könnte das dem Partizip hácala zugrunde liegende Verb
ebensogut ein A-Stamm haca- oder háca- sein (vgl. hlápula
"strömend" von hlapu- und pícala
"abnehmend" von píca-).
Mit der Veröffentlichung von The Peoples of Middle-earth 1996 wurde
eine Form verfügbar, die das Partizip eines Primärverbs zu sein scheint:
PM:363 verweist auf die Wurzel "it [as in] itila 'twinkling,
glinting', and íta 'a flash', ita- verb 'to sparkle'."
(""it wie in itila 'glitzernd, funkelnd', und ita
'ein Blitz', ita- Verb 'glitzern'." Aber ist itila
wirklich das Partizip eines Primärverbs it-? Tolkien verweist auf it-
als "Stamm" oder Wurzel (vgl. PM:346), nicht als Quenya-Verb. Das
tatsächliche Quenyaverb ist aufgelistet als ita-, ein kurzer A-Stamm mit
der Bedeutung "glitzern". Sein Partizip wäre wahrscheinlich ítala,
nicht itila. Wenn das letztere überhaupt ein Partizip ist, ist es ein
eigentümliches: es zeigt keine Verlängerung des Stammvokals (nicht **ítila),
und vor der Endung -la ist ein verbindender Vokal -i- eingefügt
worden. Da der Aorist eines Verbs it- iti- wäre (und bei einem
Fehlen jeder Endung zu itë würde), könnte man sich fragen, ob itila
ein Aorist Partizip sein könnte. Das würde bedeuten, dass Quenya die
Unterscheidung zwischen Aorist und Gegenwart (Verlaufsform) in das
Partizip übernehmen kann, so dass es verschiedene Formen von
"machend" (gewohnheitsmäßig oder augenblicklich) und
"machend" (andauernd) gibt; vielleicht etwas wie carila und cárala,
in dieser Reihenfolge (von dem Verb car- "machen, tun"). Aber
das ist spekulativ, und ich kann ein solches System Schreibern nicht empfehlen;
wir müssen die Veröffentlichung von mehr Material abwarten. Es könnte sein,
dass itila einfach eine alte Adjektivform ist, die in Quenya nicht
länger als Adjektiv "zählt". Die Endung -la taucht ebensogut
in Adjektiven auf, z. B. saila "wjeise"; unzweifelhaft ist -la
vom Ursprung her einfach eine Adjektivendung, die zu dem Vorzug als Suffix kam,
um Verbaladjektive = Partizipien zu entwickeln.
Auch so scheinen sich Quenya-Partizipien als Formen etabliert zu haben, die sich
von Adjektiven deutlich abheben, denn in einem Gesichtspunkt unterscheidet sich
ihr Verhalten: Im Gegensatz zu Adjektiven stimmen die aktiven Partizipien im
Numerus offensichtlich nicht überein. Wir finden Im Markirya zum
Beispiel rámar sisílala für "strahlende Flügel" (das
zweite Wort ist das Partizip des Verbs sisíla, einer längeren Variante
des Verbs sil- "weiß leuchten, scheinen"). Wir erinnern uns,
dass normale Adjektive auf -a Pluralformen auf -ë haben (für -ai
im Ur-Quenya). Wenn also sisílala im Numerus mit dem beschriebenen
Hauptwort übereinstimmen sollte, würden wir **rámar sisílalë
erwarten. Vielleicht wollte Tolkien nicht, dass Partizipien auf -la im
Numerus übereinstimmen, gerade weil die Pluralform der Partizipendung -lë
hätte sein müssen: Diese Endung konnte leicht verwechselt werden mit der
markanten abstrakten Endung -lë, die an Verbstämme angehängt
wird, um substantivierte Verben zu bilden - z. B. lindalë "(das)
Singen" aus linda- "singen" (wie in Ainulindalë
"Ainu-Singen", frei übersetzt "die Musik der Ainur").
Während lindala und lindalë im Englischen beide mit "singing"
übersetzt werden, ist letzteres ein Hauptwort, wogegen das erstere
"singend" im adjektivischen Sinn ist. Im
Deutschen unterscheiden sich wie in Quenya die Formen, das Hauptwort wäre
"(das) Singen" und das Partizip "singend".
Das Englische verwendet das aktive
Partizip oft, um die Bedeutung eines Verlaufs auszudrücken, indem es das
Partizip mit einem Kopula wie "is" oder "was" verbindet, z.
B. "the boy is laughing". Das Deutsche kennt
diese Verwendungsform nicht. Zumindest was gegenwärtige Handlungen
angeht, würde Quenya diese Bedeutung eher ausdrücken mit der Gegenwartsform
(Verlaufsform): I seldo lálëa. Niemand kann sagen, ob u seldo ná
lálala nach englischem Stil ein gültiger Quenyasatz wäre; es besteht der
Verdacht, dass, auch wenn es verständlich wäre, die Elben (/Tolkien) das nicht
für "gutes Quenya" halten würden.
Da wir kein belegtes Beispiel eines aktiven Partizips haben, das ein Objekt hat,
müssen wir unterstellen, dass es möglich ist, zum Beispiel Nauco tírala
Elda, "ein Zwerg, einen Elben beobachtend".